Anfang Juni fand das diesjährige Edmund Rehwinkel-Symposium unter dem Leitthema „Die Zukunft der Agrarwirtschaft – Ernährungssicherheit, Innovation und Transformation im globalen Kontext“ statt. Es war eine hervorragende Gelegenheit, zentrale Themen der Agrarwirtschaft zu diskutieren und gemeinsam Lösungsansätze zu erarbeiten.
Ernährungssicherheit im Fokus
Eines dieser zentralen Themen ist die Ernährungssicherheit. Es ist in Deutschland schon lange aus dem Blick geraten. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, den die meisten von uns nur aus Berichten kennen, scheint es uns mehr als unwahrscheinlich, dass wir hier jemals wieder durch Hunger bedroht sein könnten.
Was bei uns in Deutschland fast unmöglich erscheint, ist in anderen Regionen bittere Realität. Auch heute hungern Menschen auf der Welt. 733 Millionen Menschen galten 2023 weltweit als unterernährt.
Die Definition von Ernährungssicherheit umfasst vier Schlüsselbereiche:
- Verfügbarkeit: Eine ausreichende Nahrungsmittelproduktion und -versorgung.
- Zugang: Die wirtschaftlichen und physischen Mittel, um Nahrung zu erwerben.
- Nutzung: Die Fähigkeit, Nahrung effektiv zu nutzen, was von der Qualität und Vielfalt der Nahrung abhängt.
- Stabilität: Ein konstanter Zugang zu Nahrung über die Zeit hinweg.
Diese Faktoren sind global betrachtet massiv unterschiedlich. Deshalb ist es bei einer weiter steigenden Weltbevölkerung so wichtig, mit diesen Faktoren verantwortungsvoll umzugehen und die Produktion von Lebensmitteln in den Fokus zu nehmen.
Nahrung als Resilienzfaktor
Auch wenn es uns hierzulande als unwahrscheinlich erscheint, die Krisen der letzten Jahre zeigen, dass wir vorbereitet sein müssen. Eine ausreichende Ernährungssicherheit ist für mich ein Resilienzfaktor ohnegleichen. Die Produktion von Rüstung wird nun unter dem Gesichtspunkt der Resilienz gelabelt. Wie wichtig es ist, sich als Deutschland und Europa hier anders aufzustellen, darüber habe ich erst vor kurzem mit dem österreichischen Militärexperten und Historiker Oberst Dr. Markus Reisner gesprochen. Was ist das jedoch alles wert, wenn wir nicht genügend Nahrungsmittel für Menschen produzieren können? Denn Ernährungssicherheit ist nicht nur ein menschliches Grundbedürfnis, sondern auch ein sicherheitspolitischer Faktor – und damit eine globale Herausforderung.
Weltweit gesehen eignen sich nur etwa drei Prozent der Landfläche dank fruchtbarer Böden für den Getreide-, Obst- oder Gemüseanbau. Bei den theoretisch noch verfügbaren Flächen handelt es sich um Waldgebiete, deren Rodung drastische Auswirkungen auf Klima, Umwelt und Artenvielfalt hätte. Die verfügbare nutzbare Anbaufläche verringert sich laut der Food and Agriculture Organization der Vereinten Nationen, FAO, sogar Jahr für Jahr um 75 Milliarden Tonnen fruchtbaren Boden, zum Beispiel durch den Klimawandel oder eine immer weiter voranschreitende Urbanisierung.
Die Frage, wie man bei tendenziell eher schrumpfender Anbaufläche eine wachsende Weltbevölkerung ernährt, gehört zu den zentralen politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit.
Produktivität der Landwirtschaft muss steigen
Ein Teil der Antwort lautet: Die Produktivität der globalen Landwirtschaft auf den verfügbaren Flächen muss deutlich steigen. Je erfolgreicher wir die bereits bestehenden Flächen bewirtschaften, umso weniger neue Gebiete müssen wir erschließen. Das gilt auch für Länder wie Deutschland, wo eigentlich beste Voraussetzungen gegeben sind: Über 50 Prozent der Fläche der Bundesrepublik werden landwirtschaftlich genutzt. Aber auch hier wird immer mehr Fläche versiegelt und geht damit für den Anbau von Lebensmitteln verloren.
Damit die Erträge auf den verfügbaren Flächen steigen können, stehen Landwirtinnen und Landwirten verschiedene Möglichkeiten offen. Sie können:
- Digitalisierung intensiv nutzen: Um den Ressourceneinsatz zu minimieren und mehr Planungssicherheit trotz zunehmend instabiler Wetterverhältnisse zu haben.
- Resistente Nutzpflanzen anbauen: Pflanzen, die auch unter schwierigen Umweltbedingungen gedeihen und resistent gegen Schädlinge oder extreme Witterungsbedingungen sind.
- Ganzheitlichen Pflanzenschutz einsetzen: Der auf unterschiedlichen Bausteinen aufbaut, Ernten sichert und zugleich die Böden schont.
Das alles unter der riesigen Herausforderung, die der Klimawandel für die Bewirtschaftung mit sich bringt, und mit der Maßgabe, auf den genutzten Flächen die Böden gesund und fruchtbar zu erhalten, die Artenvielfalt zu fördern und die Gewässer zu schützen. Und auch hier – das ist klar – ist noch jede Menge zu tun.
Wissenschaftliche Auseinandersetzung
Dabei leistet auch die Forschung einen großen Beitrag. Seit 1974 fördern wir die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit zentralen Themen der Agrarwirtschaft über unsere Edmund Rehwinkel-Stiftung. Eine der in diesem Jahr geförderten Studien beschäftigt sich dezidiert mit dem Thema der Ernährungssicherheit. Unter dem Titel „Ernährungssicherung in globalisierten Märkten in Zeiten geopolitischer Unsicherheit – Konzepte, geostrategische Ansätze und Szenarien“ haben Dr. Lukas Kornher, Kristina Mensah, Luis Czilwa und Dr. Bettina Rudloff die Zusammenhänge zwischen Versorgungssicherheit und Selbstversorgungsgrad in ihrer Bedeutung für die Ernährungssicherung analysiert und die Rolle von Handelskooperationen für die Versorgungssicherheit unter dem Einfluss geopolitischer Krisen bewertet. Damit trägt die Studie auch zu aktuellen Debatten und politischen Initiativen für wirtschaftliche Sicherheit bei, die auch in anderen Versorgungsbereichen mit ähnlichen Fragen und Abwägungen konfrontiert ist.
Gemeinsame Verantwortung
Wenn man mich fragt, wie wir die Herausforderung der globalen Ernährungssicherheit angehen können, ist meine Antwort: durch gemeinsamen Fortschritt. Gemeinsamer Fortschritt ist die kollektive Anstrengung vieler – von Landwirtinnen und Landwirten, Unternehmen, politischen Entscheidungsträgern und eben auch Forschenden – um positive Veränderungen gemeinsam zu gestalten. Aber es ist eben auch die Anstrengung jedes Einzelnen.
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